„Stadt der Diebe“ von David Benioff

24. September 2012 3 Von Kadda

Kurzbeschreibung des Heyne Verlags:

Mit Stadt der Diebe gelang David Benioff ein modernes erzählerisches Meisterwerk, das Kritiker wie Leserschaft gleichermaßen in seinen Bann zog. Es ist ein fesselnder Abenteuerroman und zugleich die Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft zwischen zwei jungen Männern, die eine schier unlösbare Aufgabe zu erfüllen haben: Im belagerten, ausgehungerten Leningrad sollen sie ein Dutzend Eier auftreiben.

Gast-Rezension von Esther Packullat

Angefangen hat das Ganze mit einem unserer täglichen Gespräche über gute Bücher, Katharina schwärmte von „Stadt der Diebe“ und endete – wie so oft – mit „Ach, das musst Du einfach lesen“. Und schwupps – eine Woche später hatte ich das Buch auf dem Schreibtisch liegen – eine weitere Woche später und ich habe es gelesen und bedanke mich jetzt mit einer Gast-Rezension dafür:

Kurz zum Inhalt:
Während des Kriegswinters 1942 wird der 17-jährige Lew beim Plündern der Leiche eines toten deutschen Soldaten erwischt und in das berüchtigte Kresty-Gefängnis gebracht. Er weiß, auf Plündern steht die Todesstrafe. Lew wartet deshalb verängstigt in einer dunklen Zelle auf seinen sicheren Tod. Da erscheint Kolja, sein Mithäftling, ein charismatischer Deserteur, der mit seiner Leichtigkeit des Seins den Jungen sofort in seinen Bann zieht. Ihm scheint das drohende Lebensende nur wenig auszumachen. Am darauf folgendnen Tag werden die beiden jedoch nicht wie erwartet getötet, sondern dem Oberst des Geheimdienstes NKWD vorgestellt. Dieser macht ihnen ein kurioses Angebot mit der Chance auf Leben und Freiheit: Sie sollen in wenigen Tagen im ausgehungerten Leningrad zwölf Eier für die Hochzeitstorte seiner Tochter besorgen. Und so beginnt die abenteuerliche Reise durch das winterliche und grausame Kriegs-Russland. Eine Reise geprägt durch tiefe Freundschaft und einer scheinbar unlösbaren Aufgabe.

Erzählerisch stark mit Charakteren, die ans Herz wachsen

Als ich das erste Mal von „Stadt der Diebe“ von David Benioff gehört habe, war mir der Autor völlig unbekannt und ich dachte ehrlich gesagt als erstes ‚Nicht schon wieder ein Zweiter-Weltkriegs-Roman‘. Und dann noch dazu wieder einer, bei dem der Autor die Geschichte seiner Großeltern zu verarbeiten versucht. Als ich trotz der Vorbehalte aber zu lesen beginne, kann ich das Buch kaum weglegen. David Benioff versteht es einfach zu erzählen. Der Autor, der auch als Drehbuchautor tätig ist, hat mit Lew und Kolja zwei Charaktere geschaffen, die dem Leser sofort ans Herz wachsen. Auch wenn er nicht an Klischees spart: Lew ist ein dünner Jude mit großer Nase. Kolja ist ein charmanter Glückspilz und Frauenschwarm, der blond und blauäugig, scheinbar sorgenfrei durch die Welt flaniert. Trotz dieser Stereotype sind es die liebevoll gestalteten Dialoge, die einem die zwei Figuren näher bringen. Kolja schreibt selbst einen Roman „Der Hofhund“. Dabei wird klar, dass sich hinter seiner selbstbewußten, oberflächlichen Fassade, ein unsicherer, nachdenklicher Autor versteckt. Seine schriftstellerischen Tätigkeiten verheimlicht er. Er gibt vor über einen bereits bekannten Roman „Der Hofhund“ von Uschakowo seine Dissertation zu schreiben und zitiert immer wieder Passagen aus seinem eigenen unfertigen Werk, um Lews Meinung über das Geschriebene abzutasten.

Faszinierend plastische Szenen – aber welche Rolle spielt der autobiografische Hintergrund?

Benioff schafft immer wieder unglaublich plastische Szenen, seine Erfahrungen als Drehbuchautor kommen ihm hier wahrscheinlich besonders zu gute. Im Kopf bleiben speziell auch die tragisch, grausamen Augenblicke, beispielsweise werden einem Mädchen nach einem Fluchtversuch von den Deutschen zur Strafe beide Füße abgesägt.
Aber auch die zwischenmenschlichen Szenen abseits des Kriegsgeschehens berühren: Lew, der sexuell noch unerfahrene 17-Jährige, verliebt sich in die widerspenstige Vica. Eine rothaarige Scharfschützin, die der Krieg androgyn und herb gemacht hat. Die Handlung und ihre Beziehung zueinander sind geprägt von knisternden Momenten, die aber dennoch sehr unschuldig bleiben.

Benioff beginnt die Erzählung mit einem Prolog. In diesem verdeutlicht er den autobiografischen Hintergrund. Der Leser weiß im ersten Kapitel, dass es sich bei Lew um den Großvater des Autors handeln muss, wenn auch klar ist, dass die Geschichte so in dieser Form und en détail nicht stattgefunden hat. Dieser autobiografische Aspekt des Buches wird danach allerdings völlig links liegen gelassen. Es bleibt unklar, warum er diesen Prolog dem Ganzen überhaupt voranstellt. Als Leser vermisst man dessen Einbettung und sei es nur durch einen kleinen Epilog. Die Geschichte trägt sich auch ohne das so häufig benutzte Stilmittel der „wahren Begebenheit“. Ich hätte also auf den Prolog gut verzichten können und in dieser Form bringt er einem die Geschichte auch nicht näher, was ja solche autobiografischen Prologe immer bewirken sollen. Die Nähe zum Leser und das Miterleben werden durch andere Mittel, durch sein erzählerisches Können erreicht und nicht durch den (in dieser Form unnötig wirkenden) Prolog.

Fazit: Der Roman liest sich mit seinen knapp 400 Seiten sehr schnell und lässt dem Leser kaum eine Handlungs-Verschnaufpause. Trotz der vorher erwähnten zwei klitzekleinen Kritikpunkte ist das Buch also sehr empfehlenswert. Die abenteuerliche Suche nach den zwölf Eiern ist geprägt durch Menschlichkeit, Humor und Charme, die scheinbar auch in einem noch so grausamen Krieg überleben. Sympathisch und liebevoll.

Hier könnt ihr die Leseprobe als pdf downloaden


„Stadt der Diebe“ von David Benioff
Taschenbuch: 384 Seiten
EUR 9,95
Heyne Verlag
ISBN-10: 3453407156
ISBN-13: 978-3453407152